Kinder verstehen dass doch alles gar nicht!
Der Text endet mit der Beispielhandlung Jesu, dass er ein Kind in die Mitte stellt und den Jüngern aufgibt, so zu werden wie ein Kind. Dabei wird leicht übersehen, dass es vorher um die
Leidensankündigung geht und darum, wer welche Position "im Reich Gottes" einnehmen wird.
Wir kennen die andere Leidensankündigung kurz vorher 8,31-33 bei der Petrus ihm deswegen Vorhaltungen macht und von Jesus scharf zurückgewiesen wird.
Für die Homilie kann hier in Kap. 9 ein guter Anknüpfungspunkt in dem Satz liegen: „Sie aber verstanden ihn nicht.“ Gerade in der Predigt haben wir ja das Anliegen, den Text verstehen zu wollen. Wir wollen und sollen ihn für unsere Hörerinnen und Hörer deuten. Was aber lässt sich hier deuten? Was geschieht, wenn wir uns auf das Nichtverstehen einlassen? Ja, die Schrift ist oft nicht zu verstehen. Da stoßen die Exegeten und Ausleger wie der Prediger an eine Grenze.
Und dann machen wir es wie die Jünger: wir wenden uns anderen Themen zu.
Was geschieht aber, wenn wir uns diesem Nichtverstehen aussetzen? Die Jünger verstehen nicht, weil das was Jesus sagt ihren Vorstellungen widerspricht - so wie in Kap. 8 Petrus das deutlich macht.
Die tradierten Vorstellungen wie der Messias sein soll, werden von Jesus nicht bedient. Das führt bei den Jüngern zu großer Verunsicherung. Das geschieht in der Bibel aber eigentlich immer. Sie wendet sich gegen eine Überlieferung die Gott und seinem Wirken keinen Raum mehr gibt. Ein Messias der leidet ist in der Vorstellung des zeitgenössischen Judentums nicht vorgesehen.
Ich denke, dass auch wir glauben, eine "richtige" Vorstellung von Jesus und seiner Botschaft zu haben. Was geschieht aber, wenn die Exegese herausfindet, dass unsere Vorstellungen wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte in der Kirche entwickelt haben an der Botschaft Jesus vorbei gehen? So fußt manche tradierte Auslegung auf einem bestimmten Textverstehen, das manchmal auch auf deutschen Fehlübersetzungen beruhen kann, oder darauf, dass es für ein und denselben Text unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten gibt. So heißt es bei der Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern in Galiläa in Mth 21: „Einige aber hatten Zweifel.“ Es lässt sich aber genauso übersetzen: „Sie aber hatten Zweifel.“ also alle. Kann es sein, dass der Glaube an die Auferstehung so unglaublich ist, dass der Zweifel konstitutiv dazu gehört? Für eine Generation, für die der Glaubenszweifel eine schwere Sünde war, eine große Irritation. Es gibt auch Exegeten, die davon ausgehen, dass die Zwölf ihre Frauen mit dabei hatten und Jesus sie in Lk10 (Aussendung der 72 Jünger) mit ausgesendet hat. Immerhin sollen ja auch die Frauen gesalbt werden - und das nicht nur ein bisschen an den Händen und an der Stirn wie bei der Krankensalbung oder Firmung.
Es zeigt sich, dass das Nichtverstehen der Jünger auch für uns eine Herausforderung ist. Es geht immer wieder um ein Neu-verstehen.
So gesehen kann dieses Evangelium eine Möglichkeit sein, mit den Hörerinnen und Hörern darüber in ein Gespräch zu kommen, wie wir mit Texten umgehen, die wir nicht verstehen oder anders ausgedrückt, für die wir kein Verständnis haben. Ich denke, dass es viele Texte gibt, an denen wir uns reiben. Nicht deswegen, weil, wir sie nicht verstehen, sondern deswegen, weil wir sie nicht akzeptieren können oder wollen. Um dieser Frage nachzugehen, braucht es keine Exegese, sondern hier sind wir mit unserem Glauben gefragt. Die Exegese versucht zu erklären. Hier aber geht es um Glauben, um Akzeptanz. Es geht darum, was der Text mir bedeutet und da kann jeder und jede Getaufte mitreden.