Es gibt Forscher die sagen, es gibt keinen Antijudaismus in der Bibel. Was es wohl gibt, das sind deutliche Worte gegen die führenden Schichten - wie sie zum Beispiel die Propheten immer wieder ins Wort bringen (Amos, Hosea, Jesaja, Jeremia). Ein Antijudaismus ist das aber noch nicht.

Antijudaismus als die Haltung, die ohne Differenzierung „Die Juden“ - und zwar aller Generationen - als gesamte  Volksgruppe für etwas verantwortlich machen, gibt es mit wenigen Ausnahmen in der Bibel nicht. Selbst diese Ausnahmen werden auch  nur deshalb als  antijudaistisch wahrgenommen, weil sie aus dem Zusammenhang  gerissen werden.

Woher kommt dann die Vorstellung, es gäbe Antisemitismus und Antijudaismus in der Hl. Schrift? Es hat mit der Geschichte der Kirche und einem undifferenzierten Umgang der Kirche mit der der Schrift und ihrer Auslegung zu tun.

Dies beginnt bereits in den Evangelien.

Ein klassisches Beispiel dafür ist das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22,1-9) Bei Lukas (14,15-24) geht es noch nur um die Hochzeit des Sohnes eines Mannes. Die geladenen Gäste kommen nicht und so lädt er andere ein. Bei Matthäus wird aus diesem Mann ein König, der, als die geladenen Könige  nicht kommen, ihre Städte niederbrennt. Matthäus hat hier die Zerstörung Jerusalems 70 nach Christus vor Augen. Auch bei Lukas werden die Geladenen - die Juden - wegen ihrer Weigerung ausgeschlossen.

Immer dann, wenn die Evangelisten so schreiben, haben sie die konkrete Zeit Jesu und die Auseinandersetzung der jungen Gemeinde - nicht Jesu - mit der jüdischen Obrigkeit vor Augen.

Auch in der Passionsgeschichte sind es die Machthaber des jüdischen Volkes, die die Verurteilung  Jesus betreiben und das Volk aufhetzen. Und wenn es bei Matthäus heißt: Sie aber schrien: Ans Kreuz mit ihm!, dann waren es nur die, die damals dabei waren und nicht die Nachfahren 500, 1000, oder 2000 Jahre später. Dazu kommt noch eine andere nicht unwichtige Information die in der Regel unterschlagen bzw. nicht wahrgenommen wird. Es ist der Hinweis des Matthäus vor dieser Szene. „Inzwischen überredeten die Hohenpriester und Ältesten die Menge [nicht das Volk. d. Verf.], die Freilassung des Barabbas zu fordern, Jesus aber hinrichten zu lassen.“(Mt 27,20) Das Griechisch-Deutsche Wörterbuch gibt als Übersetzung für das hier für Menge benutze griechische Wort ochlos u.a. die Bedeutung Masse, gemeiner Volkshaufen, Pöbel an. Welche Wirkung Massenaufläufe haben können, kennen wir aus der deutschen Geschichte zur Genüge. (Ich möchte nur an die begeisterte Zustimmung ´der Deutschen` erinnern als Goebbels sie fragt. Wollt ihr den totalen Krieg?)

Der „Blutruf“

Eine der fatalsten Schriftstellen der Passionsgeschichte ist schließlich der Satz bei Matthäus: 27,24b: „Da rief das ganze Volk: sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Mit diesem Satz wurde die Kollektivschuld  „der Juden“ über die Jahrhunderte fest geschrieben und ihnen die  Verantwortung für den Tod Jesu angelastet. Heinz-Günter Schöttler, fordert deshalb, dass in der Passionsgeschichte die Lesung an dieser Stelle unterbrochen wird und mit ein paar Worten auf die schreckliche Wirkungsgeschichte dieses Satzes hingewiesen wird. „Ich plädiere deshalb entschieden dafür, den ,Blutruf weiterhin im Gottesdienst, in der Matthäuspassion am Palmsonntag des Lesejahres A, vorzulesen, das Prekäre dieses biblischen Satzes und seine katastrophale Wirkungsgeschichte aber unübersehbar, unüberhörbar zu machen, indem zum Beispiel ein Riss in der lectio inszeniert wird, der angesichts der Wirkungsgeschichte einen Bruch mit der bisherigen Auslegungstradition liturgisch darstellt: Der Lektor, die Lektorin unterbricht die Lesung der Passion abrupt nach Mt 27,25. In einer Kurzintervention durch eine andere Person (nicht durch den Lektor) wird Veto gegen diesen Satz erhoben und so eine ungebrochene und unreflektierte Rezeption unmöglich gemacht. Dieses „Veto“ benennt die innerjüdische Polemik als „Entstehungsort“ und damit die eng begrenzte Reichweite des „Blutrufs“, erinnert seine schreckliche Wirkungsgeschichte und sagt vor allem den grundstürzenden Paradigmenwechsel an, den das 2. Vatikanische Konzil und insbesondere Papst Johannes Paul II, erschrocken über die Schoah, im christlichen Verständnis des Judentums vollzogen haben.  (vgl. BiLi Jahrgang 89 Heft 1)

Nach Erkenntnis der Exegeten gehört der „Blutruf“ zum matthäischen Sondergut und ist nicht historisch.

Das ist die fatale Wirkungsgeschichte der biblischen Schriften, dass sie nicht aus der eigenen Zeit heraus verstanden und gedeutet wurden, sondern zum Teil von den Schrifttellern selbst oder den nachfolgenden Generationen generalisiert wurden. Wie stark diese Wirkung bis heute ist, kann daran gesehen werden, dass auch heute noch „gut katholische Menschen“ ernsthaft fragen, wieso man sich mit „den Juden“ so nahe beschäftigt, denn sie hätten doch Jesus umgebracht.

„Ihr habt den Teufel zum Vater“ Joh8,44

Mit diesem Zitat aus dem Johannesevangelium tuen sich die meisten Ausleger sehr schwer. Rudolf Pesch ist der Meinung, dass sich Jesus mit dieser Aussage an die Juden und Christen wendet, die sich zunächst zu Jesus bekannten, dann aber vom Glauben abgefallen sind.[1] Pesch spricht in diesem  Zusammenhang  auch immer vom „johanneischen Jesus“. Wir haben es demnach nicht mit einem historischen Jesuswort zu tun, sondern mit einem Wort, dass geprägt ist von der Situation der johanneischen Gemeinde und ihrem Umgang mit denen, die vom Glauben wieder abgefallen waren. Dass in Joh 8, 31f  Jesus die anspricht, die an ihn geglaubt hatten wird in der Einheitsübersetzung nicht deutlich, denn die formuliert nur: „Da sagte er zu den Juden, die zum Glauben an ihn gekommen waren….“. Klaus Engst macht in seinem Kommentar deutlich, dass sich in den Kapiteln 5,7 und 8 des Evangelium nach  Johannes drei Ebenen unterscheiden lassen.

„Dass „die Juden“ Jesus töteten, ist offenbar schon ein feststehender Topos der für den Evangelisten und seine Gemeinde Evidenz hat.“[2] Die zweite Ebene ist die der Darstellung der Passionsgeschichte. „.Im Blick auf die historische Ebene …. kann gerade die Darstellung des Johannesevangeliums Wahrscheinlichkeit beanspruchen, dass nämlich Repräsentanten der jüdischen Führung, vor allem die Oberpriesterschaft aus Gründen politischer Opportunität Jesus als (potenziellen) Anführer dem römischen Präfekten in die Hände gespielt haben.“[3]

Die dritte Ebene zielt auf die Realität der johanneischen Gemeinde.“ So lebt doch offenbar die joh(anneische) Gemeinde zunächst im Synagogenverband, wird wegen ihres speziellen Offenbarungsspruchs ausgestoßen …. und reagiert darauf wie Joh 8 zu lesen ist.“[4] 

Dass es zu dieser Zuspitzung kommt, „die „die Juden“ zu Kindern des Teufels erklärt, wird aus einer Wirklichkeit herausgenommen, die Johannes mit seiner Gruppe als teuflisch erfährt.“[5]

Rudolf Schnackenburg rekurriert auf die Diskussion um die Abrahamskindschaft und stellt fest, „die wahren Abrahamskinder müssten jetzt die Stimme des Gottgesandten hören, der die Hoffnung Abrahams erfüllt. Aber gefangen in ihrem  menschlichen Dünkel erfassen sie nicht den Sinn der Heilsgeschichte und die Intention ihres „Vater Abraham“.[6] Dahinter steht die Vorstellung, dass Abraham nichts anderes ist, als ein Zeuge für Christus. Mit dieser Vereinnahmung des Ersten Testamentes für die Ankündigung des Messias, wird deutlich, dass den Juden nicht nur die wahre Abrahamskindschaft  verwehrt wird, sondern auch ihre selbständige Erwählung über Tod und Auferstehung Jesu hinaus.

Es zeigt sich, dass die Auslegung von Joh 8 den Streit zwischen der nachjesuanischen christlichen und jüdischen Gemeinde widerspiegelt, in der letztendlich die christliche Gemeinde, die sich noch mit dem Judentum verbunden fühlt, aus der jüdischen Gemeinschaft ausgestoßen wird und mit einer entsprechenden antijudaistischen Polemik reagiert, die in den christlichen Schriften einzigartig ist und  dem Geist Jesu widerspricht.

Jesus und die Pharisäer

Eine besondere Rolle in der antijudaistischen Tradition spielt das Verhältnis Jesu zu den Pharisäern. In den Schriften der Evangelien werden sie als die großen Gegner Jesu und seiner Lehre dargestellt. Wir wissen heute aber, dass Jesus den Pharisäern in vielem sehr nahe stand. Wenn wir uns die diversen Streitgespräche genauer anschauen, dann lässt sich zeigen, dass die Evangelisten zum Teil eine Differenz in die Gespräche hineintragen, die zunächst überhaupt nicht zur Debatte steht.

Ganz deutlich zeigt sich das bei der von den Synoptikern überlieferten Diskussion um die Frage, was das wichtigste Gebot ist. (Mt 22,34-40; Mk 12,28-31; Lk10,25-28)

Bei Markus wird deutlich, dass ein Schriftgelehrter hier eine ernste Frage hat. Es gibt in der jüdischen Religion so viele Gebote und Verbote, dass der Fromme leicht den Überblick darüber verliert, was denn wichtig und was weniger wichtig ist. Im Grunde geht es uns im Christentum nicht anders. Wir helfen uns im Glaubensverständnis mittlerweile mit der Rede von der Hierarchie der Wahrheiten. Auch unterscheiden wir zwischen Kirchengeboten und göttlichen Geboten.

Wir dürfen also durchaus im Markusevangelium davon ausgehen, dass der Schriftgelehrte Jesus eine Frage stellt, die ihn und seine Kollegen ernsthaft beschäftigt. Der Verlauf des Gespräches  zeigt deutlich, dass sich hier zwei Partner einander annähern und zu einer gemeinsamen Haltung kommen. Davon ist in der Auslegungstradition nichts mehr zu merken.

Bei Matthäus und Lukas wird diese Perikope mit dem Hinweis eingeleitet: „Sie wollten ihm eine Falle stellen.“ Aber beide Texte lassen in ihrem Fortgang nichts von dieser Bösartigkeit erkennen.

Es gilt also bei jeder biblischen Aussage genau zu überprüfen, worum es in der überlieferten Geschichte oder Aussage genau geht und was möglicherweise die Intention des Verfasser ist. Ist diese mit der Textaussage identisch oder will der Verfasser uns etwas anderes glauben machen.

Auch ist immer wieder  genau zu prüfen, wie die alttestamentlichen Zitate, die sich an Prophetenworten orientieren, im sowohl jeweiligen Kontext der Schrift als auch der Intention des Autors zu verstehen sind. Es darf nicht übersehen werden, dass die Evangelisten, als auch die Schreiber der Briefliteratur, aus der Erfahrung schreiben, dass Jesus und seine Sendung von einem großen Teil der Juden seiner Zeit nicht anerkannt wurde und die judenchristliche Gemeinde von der Synagoge ausgeschlossen worden war.

Der christliche Antijudaismus ist davon geprägt, dass über die letzten zwei Jahrtausende die jüdische Bevölkerung aller Zeiten und Regionen dafür verantwortlich gemacht wurde, dass Jesus von den Römern hingerichtet wurde. Dazu wurde zusätzlich noch fälschlich behauptet, „Die Juden“ hätten Jesus umgebracht. ( Es waren eindeutig Pilatus und die römischen Soldaten – nicht DIE Römer - .Dazu kommt die Rede vom neuen Bund, der den alten Bund ersetzt haben soll. Gegen diese Vorstellung haben auch alle paulinischen Texte nichts geholfen, die genau das Gegenteil aussagen und vom ungekündigten Bund sprechen (Röm 9-11).

So konnte sich in unsere christliche Glaubenstradition eine antijudaistische Grundstimmung breitmachen, die wir häufig überhaupt nicht mehr  bemerken. So können sich in Predigten antijudaistische Tendenzen einschleichen, ohne dass der  Prediger sich dessen bewusst ist. Hier gilt es eine besondere Sensibilität für die Wirkung der eigenen Worte zu  entwickeln.

Ich möchte einige Beispiele vorstellen, in denen sich antijudaistische Aussagen finden, die den Autoren sicherlich nicht bewusst waren. Ich möchte aber betonen, dass ich den Autoren keine antijudaistische oder antisemitistische Gesinnung unterstellen möchte. Es ist ihnen nicht bewusst was sie mit ihren Aussagen zum Ausdruck bringen. 

Antijudaistische Tendenzen in der Schriftauslegung

 Die Geschichte Israels uns zur Warnung!?

Am 3.  Fastensonntag im Lesejahr C wird aus dem ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth der Abschnitt 1Kor 10,1-6 10-13 gelesen. Paulus beschreibt die Beschwernisse, mit denen Israel beim Auszug aus Ägypten zu kämpfen hatte. Paulus beginnt mit dem Hinweis, dass der Fels, aus dem Israel trank, Christus war, der mit ihnen zog. Auch hier haben wir wieder die christologische Deutung der alttestamentlichen Texte. Die Einführung zur Lesung im Schott greift diese Sichtweise auf. „Der Apostel erinnert die Gemeinde von Korinth an die Lehren, die sich aus der frühen Geschichte Israels ergeben. Durchzug durch das Rote Meer, Manna und Wasser aus dem Felsen: das alles deutet auf Christus, den neuen Moses  hin und auf die Sakramente, von denen das neue Gottesvolk lebt.“ [7]

Auch wenn Paulus in Sinne der frühchristlichen Tradition das AT christologisch deutet, ist das kein Grund, nach 2000 Jahren immer noch diese Sichtweise unkommentiert zu übernehmen.

Die Exegese erklärt diesen Text mit dem Hinweis, dass  Paulus die Selbstsicherheit der Gemeinde in Korinth angreifen will. Die  Wirkungsgeschichte geht aber eher weg  von der Gemeinde in Korinth  zum Volk Israel, das als warnendes Beispiel vorgestellt wird. Die Geschichte des Volkes Israel wird hier instrumentalisiert zur Reglementierung der christlichen Gemeinde. Dazu wird in einem Subtext vermittelt, dass das Volk Israel sich die Mühsal im Sinai selbst zuzuschreiben hat. Und das nur im Sinai?

Wenn dieser Text im Gottesdienst vorgelesen wird, ist es m.E. unumgänglich, nach dem Vorlesen einen kurzen Einwurf zu machen und die Ansicht des Paulus für unsere Zeit kritisch zu hinterfragen. Es würde sich auch lohnen, einmal über diesen Text und seine Wirkungsgeschichte eine Homilie zu halten.

 Jesus in Nazareth Lk 4,21-30

In einer Auslegung zu dem Tumult in der Synagoge von Nazareth kommt der Autor zu folgender Aussage: „Die Leute in der Synagoge gerieten in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus. Vom Abhang eines Berges wollten sie ich ihn hinunterstürzen. Lukas lässt mit diesen Sätzen schon anklingen, dass die Botschaft Jesu von den Juden nicht angenommen wurde. Die Heiden aber haben die Frohe Botschaft aufgenommen.“ (Botschaft Heute 1. Februar 1998)

Wie kommt der Verfasser zu der Aussage, dass  „die Juden“ die Botschaft Jesu nicht angenommen haben, „die Heiden“ aber doch?

In der Apostelgeschichte lesen wir am Ende der Erzählung über die Sendung des Heiligen Geistes: „An diesem Tag wurden (ihrer Gemeinschaft) etwa dreitausend Menschen hinzugefügt.“(Apg 2,41b) Und nach der Wahl der sieben Diakone heißt es: „Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer; auch eine Anzahl von Priestern nahm gehorsam den Glauben an.“ (Apg 6,7)

Es stimmt also nach Aussage der Schrift nicht, dass „die Juden“ die Botschaft nicht annahmen. Der Hinweis, dass Lukas mit seiner Schilderung dies sagen will, wird vom Verfasser  der Predigt auf Grund seines eigenen Vorurteils in den Text hineingelesen, ohne dass er sich dieses Vorurteils bewusst ist.

Beim Alten bleiben oder etwas Neues

So lautet  die Überschrift eines Autors zu einer Predigt zu Joh 15,1-8 der Rede Jesu, dass er der wahre Weinstock sei. „Jesus wählt das aus der Geschichte Israels bekannte Bildwort vom Weinstock. Gott hatte den Weinberg Israel gepflanzt, aber er wurde enttäuscht. Nun hat er seinen Sohn als „wahren Weinstock“ in die Welt gepflanzt.“ (Kirchenzeitung für das Bistum Aachen 27.4.97)

Diese Aussage lässt den Leser glauben, dass der „Weinberg“ von dem „wahren Weinstock“ abgelöst wurde. Die Gegenüberstellung von Altem und Neuem in der Überschrift, verstärkt diesen Eindruck, dass das Alte nicht mehr gilt. Damit wird den Juden – der Weinberg den Gott gepflanzt hatte – seine Existenzberechtigung abgesprochen. Eine klassische antijudaistische Aussage.

Über diese unzulässige „Ablösung“ hinaus ergibt sich hier noch ein anderes Problem. Der Weinberg und der Weinstock werden gleichgesetzt, als ob  es sich um synonyme Begriffe handelte. Ein Weinberg ist aber etwas anderes, als ein Weinstock. Hätte der Autor genau auf diesen Unterschied geachtet, wäre ihm das vielleicht aufgefallen und er hätte seinen Fehler in seiner Auslegung vermieden. Das Bild vom Weinstock und so wie Jesus es  hier benutzt, hat mit einem Weinberg und mit dem Bild von Israel als dem Weinberg Gottes nichts gemeinsam.

Der dankbare Samariter

Die Auslegung der Erzählung von der Heilung der 10Aussätzigen (Lk17,11-19 ) bietet wieder einige Möglichkeiten, antijudaistischen Tendenzen mit kleinen, fast unmerklichen Hinweisen Raum zu geben. Diese „unmerklichen“ Hinweise sind vielleicht auch der Grund, warum sie nicht wahrgenommen werden und sie so ihre Wirkung „unbemerkt“ entfalten können.

Wir erinnern uns: 10 Aussätzige werden geheilt, einer kehrt zurück und bedankt sich bei Jesus. Jesus seinerseits fragt verwundert, wo denn die anderen sind und ob sie nicht Gott die Ehre geben wollen.

So sagt das „Stuttgarter Neue Testament  mit Erklärungen: „Auch die neun anderen werden Gott gepriesen und ihm gedankt haben; das war sogar offiziell vorgesehen im Zusammenhang der  Reinerklärung durch die Priester. Doch um wirklich Gott zu ehren -  in dieser heilsgeschichtlichen Stunde und angesichts des Heils, das in ihr durch Jesus erfahrbar wird – muss man sich Jesus zuwenden. Er ist der „Ort“, an dem Gott sich wirklich zeigt, wo ihm gedankt und wo er gepriesen werden muss.“[8]

Hier wird den Neun, die ihren Platz für den Dank an Gott im Tempel  hatten, unterstellt, dass sie „nicht wirklich“ Gott die Ehre geben. Das was die neun Juden machen ist also nicht der richtige und wahre Gottesdienst.

In eine ähnliche Richtung argumentiert H.D. Betz. Er  geht von einer mündlich überlieferten Erzählung ohne große christliche Konnotationen aus, „die Jesus als Wundertäter in den Mittelpunkt stellte und bereits die Rückkehr des Aussätzigen enthielt. Diese Erzählung wurde dann einem lehrhaften Anliegen und einer polemischen Absicht angepasst: das Wunder in seiner wahren Dimension zu verstehen, nämlich in jener des Christlichen Heils.“[9]

Unterscheide: Text und Autor

Es zeigt sich, dass das Neue Testament immer wieder der Gefahr ausgesetzt ist, den Tendenzen für eine antijudaistische Auslegung Raum zu geben. Das liegt u.a. daran, dass die Verfasser der neutestamentlichen Literatur sich oft von der prophetischen Kritik der Verhältnisse in Israel inspirieren ließen und so in der Auslegung und dem Verständnis der Schrift dem Antijudaismus einen reichen Nährboden bereiteten.

Diese Anbindung an die  prophetische Tradition verbunden mit der christologischen Deutung des Alten Testamentes nahm diesem seine Würde als originäre Schrift des Volkes Israel und dem Volk Israel seine Berechtigung, sich als „auserwähltes Volk Gottes“ auch nach der Gründung der christlichen Kirche zu verstehen.

Die Exegese hat es über lange Zeit versäumt, den Unterschied zwischen der  Botschaft Jesu vom Reich Gottes und der Darstellung dieser Verkündigung in den Evangelien und der Briefliteratur zu unterscheiden. Für die Homilie bedeutet dies, genau hinzuschauen und zu verstehen, dass es einen Unterschied gibt, zwischen dem, was der Texte mir mitteilen will und dem, was der Autor mir mitteilt. Dieser schreibt angesichts seiner Geschichte, die sich nicht immer decken muss mit dem, was er als Überlieferung von der Botschaft Jesu übernommen hat.

 

Abraham Roelofsen


[1] Vgl. Rudolf Pesch, Antisemitismus in der Bibel?  S. 74ff, Augsburg 2005

[2] Klaus Ernst, Das Johannesevangelium, S 344

[3] ebd. S 344

[4] Becker, Kommentar zum Johannesevangelium I, S.360

[5] ebd. S 349

[6] Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium, Freiburg 19854 Teil 2, S. 282

[7] Der Große Sonntagsschott, S 1128

[8] Stuttgarter Neues Testament mit Erklärungen

[9] Francois Bovon, EKK III/3 das Evangelium nach Lukas, S 147

Predigt und Supervision

Dr. Abraham Roelofsen

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.