Erfahrungen als Predigthörer - es geht an mir vorbei

In seinem Artikel zur Predigt klagt E. Ballhorn darüber, dass der Prediger sich nicht zeigt. Er spricht nicht von dem, was der Schrifttext ihm, dem Prediger bedeutet. „Was bewegt Dich an diesem Text? Wo stockst Du beim Lesen?“ ( Pastoralblatt 5/2019, 137)  H.J. Fabry berichtet in einem Leserbrief zwei Monate später über einen Chirurgen der Tag für Tag im OP steht. „Nur sonntags kann er sich für einige Stunden seiner Familie widmen und mit ihr zur Kirche gehen. Das heutige Hochamt hat ihm gereicht! Die Zeit mit der Familie ist ihm zu kostbar, um sich von unverständlichen Plattitüden und theologischen Seifenblasen beschallen zu lassen.“ (Pastoralblatt 7/2019, 223)

Offensichtlich fühlen beide sich im Gottesdienst und der Predigt nicht ernst genommen. Es kommt nicht zu einem positiven Kontakt.

Es gibt sicher mehrere Ursachen für dieses Misslingen der Kommunikation zwischen Prediger und Gemeinde. Woran liegt es, dass immer wieder der Vorwurf kommt, die Prediger würden ihre Zuhörerinnen und Zuhörer mit Plattitüde und Banalitäten abspeisen. Kann es sein, dass Prediger und Hörende eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, was die Predigt leisten soll?

„Ich möchte etwas haben, was für meinen Alltag relevant ist.“ ist eine häufig gehörte Forderung. Warum gelingt es nicht, diese Verbindung zwischen Schrifttext und Alltag herzustellen? Kann es sein, dass die Prediger zu sehr ihre eigene Vorstellung von der Bedeutung eines Textes, einer Textaussage im Blick haben? Kann es sein, dass Prediger und Gemeinde unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was Predigt leisten soll und kann?  Kann es sein, dass die Prediger sich nicht fragen, wie die Hörerinnen und Hörer den Text aufnehmen, wie es ihnen mit dem Text ergeht, den sie gerade gehört haben? Das bedeutet, dass ich als Prediger ernst nehme, dass ich gerade einen Text vorgetragen habe, der bei der Gemeinde noch präsent ist - wenigstens in den meisten Fällen. Das hat Konsequenzen.

Predigen - ein miteinander Sprechen

Wissen die Priester eigentlich noch, was Predigen ist und worum es dabei geht? Predigen heißt zunächst einmal öffentlich laut etwas verkündigen, mitteilen. Eine Homilie halten, wie es in der Kirchenordnung vorgeschrieben ist – gemeint ist damit eine Auslegung eines Schrifttextes – meint geschwisterlich  miteinander reden.

Das wäre schon einmal ein erster Schritt, auf die Gemeinde zu. Was würden eigentlich meine Zuhörerinnen und Zuhörer  zu diesem Schrifttext sagen, der gerade vorgelesen wurde? Vielleicht passiert es dann, dass ich nicht über fromme und „wichtige“ Glaubensthemen spreche, sondern über das Leben der Menschen aus dem Blickwinkel der Bibel.

Den Schrifttext ernst nehmen

Oft erlebe ich, dass der Prediger den Schrifttext nicht ernst nimmt sondern ihn nur als Stichwortgeber für seine theologischen Ideen benutzt.

So spricht ein Prediger zum Text von der Taufe Jesu von der Gnade, die wir alle durch die Taufe erhalten haben. Und es ist der Ruf an uns, ein Jünger Jesu zu sein. Und dann geht es weiter mit all dem. was für uns an Aufforderung und Müssen daraus folgt.

Und wo bleibt Jesus und seine Taufe? Und der Heilige Geist? Mich interessiert doch in erster Linie bei diesem Text, wieso sich Jesus in die Schar der Umkehrwilligen einreiht und sich taufen lassen will. Daraus erfahre ich doch, was die Taufe des Johannes biblisch und auch für Jesus wohl bedeutet hat.

Dass es hier um die Taufe des Johannes geht und nicht um eine christliche Taufe wird ignoriert. Es ist das Stichwort „Taufe“ das den Prediger verführt, sich vom Text  und von uns Hörern zu entfernen. Ja er entfernt sich auch von uns, auch wenn er von unserer, der christlichen Taufe spricht.

Auch das Bild vom Heiligen Geist – wie eine Taube – kommt nicht mehre vor. Der Heilige Geist schon, aber nicht die Taube. Wer einmal versucht hat, eine Taube zu fangen weiß, dass das nahezu unmöglich ist. Aber sie bleibt in der Nähe und hinterlässt ihre Spuren. Ein schönes Bild für den Heiligen Geist.

Meine Erfahrung ist, dass viele Prediger sich nicht auf den Schrifttext wirklich einlassen. Ganz zu schweigen davon, dass sie ab und zu einmal in den Urtext schauen um besser verstehen zu können, was die Übersetzer ihm anbieten.

Die Prediger müssen von dem sprechen, was der Text mit ihnen gemacht hat, wo er sie getroffen hat und wohin er sie geführt hat, wie Ballhorn fordert.

Feigheit vor dem Text

Herz-Jesu

Es gibt immer wieder Feste innerhalb des Kirchenjahres, die dem Prediger Einiges abverlangen. Wenn er sich denn darauf einlässt. Dabei hindert oft die kirchliche Tradition den Prediger, sich auf das Bild einzulassen, das ihm angeboten wird. Lieber bleibt er bei dem, was die Tradition der Volksfrömmigkeit ihm anbietet.

So spricht er am Herz-Jesu-Fest davon, dass Jesus uns in sein Herz geschlossen hat und das Herz Jesu für uns durchbohrt wurde. Das mag theologisch richtig sein, aber es ist eine Banalität. Wie anders wäre es gewesen der Prediger hätte davon gesprochen, was das heißt, wenn das Herz eine so große Rolle spielt. Wie ist das denn, wenn wir das Herz sprechen lassen? Wie ist das, wenn Gefühle eine größere Rolle spielen als Erklärungen und Aufforderungen? Wie ist das, wenn ich dem Herzen mehr folge, als der kirchlichen Tradition, den Forderungen der Dogmen und dem, was die „Kirche“ aus der Schrift herausliest oder in sie hineinliest

Feuer statt Frieden

Am 20. Sonntag im Jahreskreis C - es ist der 18.August- bietet die Leseordnung keinen  leichten Text an. Jesus spricht davon, dass er Feuer auf die Erde bringt und will, dass es brennt. (Lk12,49-53) Er ist nicht gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen, sondern Spaltung. Das fordert schon einiges an Auseinandersetzung um da eine „frohe Botschaft“ heraus zuhören. Das Ganze Kapitel 12 ist von Aussagen über die Endzeit und die Notwendigkeit der Entscheidung geprägt. Da lässt sich sicher einiges zu sagen. Und zur Entscheidung gehört auch der Widerstand. Eine Entscheidung für  etwas ist immer auch eine Entscheidung gegen etwas. Da steckt Zündstoff drin. Ich denke, ich selbst, viele Christen und auch die Kirche haben sich in unserem Land so gut eingerichtet und arrangiert, dass dieses Feuer nicht mehr wirklich brennt sondern höchstens noch glimmt.

Um sich diesem Text nicht stellen zu müssen, weicht der Prediger auf das Hochfest von der Aufnahme Marias in den Himmel aus - und traut sich auch hier weder an den Text heran noch an das Festgeheimnis. Er spricht von der Nähe, die Maria zu ihrem Sohn hatte und auch wegen ihrer Reinheit von jeder Sünde direkt nach ihrem Tod mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Dass dies auch eine Botschaft an uns und unsere Auferstehungshoffnung ist, bleibt unberücksichtigt.

Genau hinschauen

Ein Grundproblem bei der Predigt scheint mir, dass die Prediger sich nicht wirklich mit dem Text auseinandersetzen, nicht genau hinschauen. Sie erlauben sich nicht, nach dem ersten - oder zweiten - Lesen zunächst einmal frei zu dem was sie wahrgenommen haben zu assoziieren und zwar zum ganzen Text.

Beim Text zum Fest Maria Himmelfahrt hören wir aus dem Lukasevangelium die Begegnung von Maria und Elisabeth. In der Predigt hören wir ganz viel von der Zusage Marias zu ihrer Schwangerschaft und dass sie als Mutter Jesu für die Kirche auch unsere Mutter geworden ist und und und. Aber diese Begegnung zwischen dem Engel und Maria ist nicht das Evangelium. Dazu kommt, dass das  JA Marias zur Ankündigung des Engels im Evangelium überhaupt nicht vorkommt.

Dass laut Schrifttext Maria nicht JA sagt sondern zuerst fragt, wie das Geschehen soll und dann lediglich sagt: ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe wie du gesagt hast - kein freudiges JA - wird in allen Auslegungen und der Tradition der Kirche ignoriert. Selbst auf dem Hintergrund, dass dieser Text eine nachösterliche Darstellung ist um den Glauben an die Gottsohnschaft Jesu zu unterstreichen, ist es sicher einmal einiger Mühe wert, diesem Magd-Sein Marias nachzugehen. (Es ist das einzige Mal, dass der Begriff „doulä“ (griechisch) im Neuen Testament vorkommt. In der hebräischen Rückübersetzung wird der Begriff  „schaphah“ benutzt. Gegenüber der „amah“ ist sie die Sklavin die die niedrigsten Arbeiten verrichtet. (E.Reuter, TWAT 404ff))

Der Prediger hat sich vom Marienbild der kirchlichen Tradition leiten lassen und nicht vom Schrifttext. Auch für das großartige Magnifikat ist in der Predigt kein Raum.

Eine vertane Chance, die prophetische Rede Marias ins Zentrum zu rücken. Es bleibt bei unverbindlichen Aussagen darüber, wie viel Maria uns in der Kirche bedeutet. Offensichtlich lief hier in der Vorbereitung ein  bekanntes Schema ab: Maria, Mutter Jesu, unsere Mutter, die, an die wir uns hilfesuchend wenden können. Der Prediger ist bei Maria, aber nicht beim Text - und auch nicht bei uns, den Hörerinnen und Hörern, denn wir sind ja noch bei der Begegnung der beiden Frauen und dem Magnifikat der Maria.

Und damit kommt ein weiteres Problem:

Der Umgang mit kirchlichen Festen

Maria Himmelfahrt

Viele Prediger tun sich schwer, ein Festgeheimnis mit der dazu vorgesehenen Schriftlesung in Verbindung zu bringen. Er setzt, sich wie oben gesehen, überhaupt nicht dem Schrifttexte aus und ignoriert auch das Fest selbst.   

Er hat sich für das Fest Maria Himmelfahrt entschieden, geht aber mit keinem Wort darauf ein. Das ist es aber, was die Menschen in den Kirchenbänken interessiert. Wie müssen / können wir uns das vorstellen mit der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel? Es ist hier jetzt nicht der Raum, die theologische Aussage um die es hier geht näher zu erörtern. Nur soviel: es geht um unsere eigenen Vorstellungen von den „letzten Dingen“. Es geht nicht in erster Linie um letzte Wahrheiten - die gibt es  sowieso nicht - sondern für die Menschen in der Gemeinde geht es um das Bekenntnis des Predigers.

Herz-Jesu-Fest

Es gibt immer wieder Feste innerhalb des Kirchenjahres, die dem Prediger Einiges abverlangen, wenn er sich denn darauf einlässt. Dabei hindert oft die kirchliche Tradition den Prediger, sich auf das Bild einzulassen, das ihm angeboten wird. Lieber bleibt er bei dem, was die Tradition der Volksfrömmigkeit ihm anbietet.

So spricht er am Herz-Jesu-Fest davon, dass Jesus uns in sein Herz geschlossen hat und das Herz Jesu für uns durchbohrt wurde. Das mag theologisch richtig sein, aber es ist eine Banalität. Wie anders wäre es gewesen der Prediger hätte davon gesprochen, was das heißt, wenn das Herz eine so große Rolle spielt. Wie ist das denn, wenn wir das Herz sprechen lassen? Wie ist das, wenn Gefühle eine größere Rolle spielen als Erklärungen und Aufforderungen? Wie ist das, wenn ich dem Herzen mehr folge, als der kirchlichen Tradition, den Forderungen der Dogmen und dem, was die „Kirche“ aus der Schrift herausliest oder in sie hineinliest.

Was ist zu tun?

Den Text ernst nehmen. Das bedeutet, im ersten Kontakt den ganzen Text an sich heran lassen. Dabei genau hinschauen. Die Bilder und Begegnungen aufnehmen, ohne schon zu werten. Nicht sofort tradierte Auslegungsmuster aufnehmen.

Sich trauen, dem eigenen Denken mehr Raum zu geben. Unkonventionelle  Ideen zulassen. (Die Taube, die man nicht zu fassen bekommt, die aber in der Nähe bleibt.)

Sich in die Rolle der Hörerinnen und Hörer versetzen. Was denken die über den Text? Welche Fragen kommen Ihnen? Gibt es Widerstände?

Zeugnis geben: von dem sprechen was der Text mir sagt.

Der Prediger kann sich trauen von sich zu sprechen, von dem, wo der Text ihn erreicht hat.  Die Kunst ist, das so zu tun, dass ein Zeugnis daraus wird, ohne sich als „leuchtendes Beispiel“ darzustellen. Da, wo das gelingt – und solche Beispiele kenne ich aus meiner Arbeit als Predigtlehrer – da hören die Menschen zu und gehen froh und gestärkt nach Hause.

Nachschlag

Bei einem Treffen von über 100 Gläubigen aus dem Sendungsbereich Wuppertal. wurde von den Teilnehmenden eine Predigt gefordert, die mit ihrem Alltag zu tun hat. Nun soll versucht werden, mit Predigtnachgesprächen den Kontakt zwischen Prediger und Gemeinde zu verbessern. Dabei geht es nicht darum, die Predigt und den Prediger zu kritisieren, sondern darum, das Volk mit Blick auf den Schrifttext und auf die Predigt – was hat der Prediger bei mir erreicht – ins Gespräch zu bringen. Es gibt keine Rückfragen – wie haben Sie das gemeint – sondern Austausch über die eigenen Gedanken und Empfindungen.

Vielleicht ein Weg, voneinander und miteinander etwas mehr von dem zu erkennen, was die Heilige Schrift mit uns macht.

 

Erstzveröffentlichung: Pastoralblatt der Diözesen Aachen, Berlin, Hildesheim, Köln und Onsnabrück 2020

Predigt und Supervision

Dr. Abraham Roelofsen

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.