Der „allmächtige“ Gott
In den Patriarchenerzählungen ist uns mit der Geschichte von Isaaks Söhnen und dem Kampf um das Erstgeburtrecht und den Erstgeburtssegen eine Geschichte überliefert, die es mit jeder Familienintrige der modernen Unterhaltungsbranche aufnehmen kann.
Da ist ein alter gebrechlicher Patriarch, der schon in seinem Leben wenig Initiative zeigte und jetzt im Alter den Dingen seinen Lauf lässt. Rebekka, die Frau an seiner Seite, regelt alles und hält die Fäden in der Hand. Dies zeigte sich bereits bei der Brautwerbung als sie, die Umworbene, sich mit ganzer Energie dafür einsetzt, dem Knecht ihres Onkels ins ferne Kanaan zu folgen.(Gen 24) Die beiden Söhne schließlich sind das Spiegelbild ihrer Eltern. Esau, der Jäger, der nach draußen strebt und die Freiheit liebt – so wie damals seine Mutter - und Jacob, den es in der Nähe der Mutter hält, am heimischen Herd, ein eher ängstlicher und zurückhaltender Charakter. Darin ähnelt er seinem Vater, der aus Sorge, um sein Leben seine Frau gegenüber dem König Abimelech als seine Schwester ausgab. (Gen26) Dennoch ist er schlau genug, seinem Bruder Esau für ein einfaches Essen das Erstgeburtsrecht abzukaufen.(Gen 25) Allerdings hilft ihm dieser Handel recht wenig, denn als es um den damit verbundenen Erstgeburtssegen geht, fordert er ihn nicht ein, sondern muss von seiner Mutter dazu gedrängt, ja verführt werden, in sich zu erschleichen.
Das aufregendste an der Geschichte um diesen Segen ist die Chuzpe, mit der Rebekka ihrem Sohn Jacob antreibt, diesen Erstgeburtssegen von seinem Vater Isaak zu ergaunern.
Nun ist das ja keine Familiensoap der modernen Unterhaltungsindustrie, sondern eine Geschichte aus der Bibel. Und dort geht es um das Zusammenleben der Menschen und ihr Verhältnis zu ihrem Gott. Und dieser Gott kommt in der ganzen Geschichte nicht vor. Er lässt das betrügerische Treiben zu und respektiert ganz offensichtlich die Tatsache, dass der Segen durch Betrug auf den Jüngeren fällt. Schon als Esau für einen vollen Bauch sein Erstgeburtsrecht an Jacob verkaufte - ich sterbe vor Hunger, was soll mir da das Erstgeburtsrecht - gibt es keine Reaktionen von Seiten Gottes..
Dies alles passt nur schwer zu einem Gott, der als Weltenschöpfer, Weltenherrscher und Weltenrichter gedacht wird. Wo ist der Gott, der das Chaos beendet und über allem, was geschieht mit unzweifelhafter Klarheit sein ordnendes Handeln und sein sehendes Auge wirft.
Mit dieser Ordnungskraft beginnt die Bibel im Buch Genesis.
In Gen 1 beendet er das Chaos. Er weist alles in seine Grenzen, das Wasser zum festen Land und die Himmel oben zur Unterwelt unten. ORDNUNG ist hier das strukturierende Prinzip. Es grenzt das CHAOS ein.
In Gen 3 bestraft er die ersten Menschen für ihre Übertretung des Verbotes von der Frucht des Baumes zu essen. Das Elternpaar hat die HARMONIE gestört und der allwissende Gott vertreibt sie aus dem Garten und lässt sie ein Leben in KONFLIKT mit der Umwelt führen.
Das Prinzip eines Gottes, der als Ordnungsmacht über allem seine schützende und strafende Hand hält ist das bestimmende Element.
In Gen 4 zitiert er Kain, der seinen Bruder erschlagen hat und belegt ihn mit der Strafe „ruhelos und rastlos sollst Du sein“.
In Gen 6-9 nimmt er mit der Sintflut sein Schöpfungswerk teilweise zurück und schafft im Noahsegen die Welt noch einmal neu.[1]
Schließlich sorgt er im Turmbau zu Babel (Gen11) dafür, dass es kein Namen neben ihm geben wird „Wir wollen uns einen Namen machen“ war das Bestreben der Turmbauer. Dem setzt er eine Grenze. Dieses Motiv findet sich später im Dekalog im absoluten Alleinvertretungsanspruch wieder: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“(Ex20.3)
Der Schöpfergott ist der unangefochtene Herrscher. Bei ihm liegt alle Macht. Aus dem CHAOS schafft er ORDNUNG und das Ergebnis der gestörten HARMONIE führt zum Leben im KONFLIKT
Diese Vorstellung von einem allgewaltigen und all-mächtigen Gott, der seine Macht über alles und alle ausübt steht im Gegensatz zu dem Gott, wie er uns in der Jacob-Esau-Geschichte in Gen24ff begegnet.
Er schaut zu, sieht hin ohne sich einzuschalten. Er lässt geschehen und akzeptiert sogar die veränderten Verhältnisse. Nur an einer Stelle wird er aktiv. Er hebt die Unfruchtbarkeit Rebekkas auf (25,19-24). Aber selbst dafür lässt er sich Zeit. Zwischen der Bitte Isaaks an Gott - Isaak betete zum Herrn für seine Frau, denn sie war kinderlos gebliebenV21 - und der Geburt der Söhne, vergehen zwanzig Jahre.
Eine Familie löst sich auf
Alles, was sich im Folgenden in der Familie ereignet lässt sich lesen als eine Bewegung zwischen Ordnung und Chaos, Harmonie und Konflikt.
Was geschieht: Es gibt zwei ungleiche Söhne. Der eine, Esau, „versteht sich auf die Jagd und ist ein Mann des freien Feldes“ V27. Wie stark in diesem Esau das Freiheitsprinzip und damit das chaotische Element verhaftet ist, zeigt sich in der Gleichgültigkeit, mit der er für ein “Linsengericht“ sein Erstgeburtsrecht verkauft.(25,27-34)
Jacob, der häusliche und rechtschaffene bleibt bei den Zelten. Für ihn scheint der Wunsch nach NÄHE und HARMONIE das zentrale Element. Dies zeigt sich insbesondere in seinem engen Verhältnis zur Mutter.
Rebekka ist in ihrer Grundausrichtung auf Harmonie bedacht. Sie empfindet die “streitenden Zwillinge“ in ihrem Bauch als Bedrohung. (25,22) Sie genießt die Nähe ihres Sohnes Jacob zu ihr. Allerdings ist sie auch bereit, für das erreichen ihres Zieles KONFLIKTE in Kauf zu nehmen, den Konflikt mit Isaak, indem sie ihm den jüngeren Sohn unterschiebt und mit Esau indem sie ihn um den Erstgeburtssegen bringt.
Isaak schließlich steht für die ORDNUNG. Nach dieser Ordnung gibt es nur einen Erstgeburtssegen unabhängig davon, ob der, der ihn empfängt dazu berechtigt ist oder nicht. Dieses Festhalten an der Ordnung führt im Zusammenspiel mit den anderen Kräften ins CHAOS.
Die Treibende Kraft, die das bestehende Gleichgewicht, die Balance zwischen HARMONIE ORDNUNG und CHAOS durcheinanderbringt ist Rebekka und ihre Bereitschaft zum KONFLIKT.
Rebekka KONFLIKT[2] Individualität | ||
Isaak ORDNUNG Gerechtigkeit | Esau CHAOS Freiheit | |
Jacob HARMONIE Nähe |
Zunächst ist das „Familienleben“ in einem relativen Gleichgewicht. Esau lebt in Freiheit und kommt nicht mit seinem Vater und den Prinzipien von Recht und Ordnung in Berührung. Chaos und Ordnung halten sich die Waage. Rebekka hält im Haus die Fäden in der Hand. Eine starke Frau wie wir sie aus der Geschichte der Brautwerbung bereits kennengelernt haben.(24) Jacob genießt die Nähe zu seiner Mutter und lebt mit ihr die vollendete Harmonie. Es wirkt so, als wenn sie in einer symbiotischen Beziehung aufs engste miteinander verbunden sind. So bewegt sich sehr wenig. Chaos und Harmonie leben nebeneinander. Beide, Jacob und Esau sind nicht wirklich im Kontakt miteinander. Das Gleiche gilt für das Verhältnis von Rebekka zu Isaak. Beide scheinen wenig miteinander zu tun zu haben. Es gibt auch hier keinen echten Kontakt. Die bestimmenden Elemente Ordnung und Harmonie stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Die Geschichte strahlt Unbeweglichkeit, Ruhe, Leblosigkeit aus.
In diese Ruhe kommt durch Rebekkas Handeln Bewegung. Rebekkas wagt den Konflikt und bricht die festgefahrenen Strukturen jeder beteiligten Person auf. Um das je eigene zu entwickeln muss jeder und jede ihren sicheren „Strukturhafen“ verlassen.
Jacob macht sich auf
Jacob verlässt die sichere Nähe der Mutter und riskiert den Konflikt mit dem Vater. Er geht gegen die bestehende Ordnung an. Der, dem zuvor das Prädikat “rechtschaffen” zugewiesen wurde,(25,27) wird zum Betrüger. (Der Hebräische Begriff der hier für rechtschaffen steht, ist der gleiche, der von Abraham in Gen 17,1 gesagt wird: “Geh deinen Weg vor mir und sei rechtschaffen“). Diese Rechtschaffenheit muss Jacob aufgeben. Er tut es noch im symbiotischen Kontakt mit der Mutter denn voll Gehorsam tut er alles, was sie ihm aufträgt, obwohl er Angst hat um die Konsequenzen. Am Ende wird diese Symbiose zerbrechen. Jacob wird die unlebendige Harmonie im Zelt der Mutter verlassen.
Rebekka riskiert den Konflikt mit der bestehenden Ordnung. Die Bereitschaft, sich über bestehende Grenzen hinwegzusetzen hatte sich bei Rebekka schon in der Brautwerbung gezeigt. Der Knecht bittet sie lediglich um Wasser. Und sie wird sogleich aktiv, tränkt die Kamele, lässt sich mit Schmuck behängen und eilt nach Hause, dies alles zu berichten. (24,15ff)
Hier nun schließt ihre Aktivität sogar die Bereitschaft ein, den Fluch in Kauf zu nehmen, der mit dem Betrug drohen kann. „Dein Fluch komme auf mich mein Sohn“ (27,14). Dieser „Fluch“ zeigt sich darin, dass die Brüder Todfeinde werden. Jacob muss fliehen und die Nähe zur geliebten Mutter aufgeben. Esau hat sich bereits aus dem Familienverband gelöst. Er hat sich mit einer einheimischer Hetiterinnen vermählt. Rebekka bleibt über Jahre mit Isaak alleine.
Esau verlässt sein Chaos und besteht auf der Einhaltung der Ordnung. Er hat Anspruch auf den Erstgeburtssegen und klagt ihn ein.
Isaak durchbricht die Ordnung indem er den betrügerisch erschlichenen Segen akzeptiert. Er riskiert damit das Gegenteil von Ordnung nämlich Chaos. Mit dem Segen an Esau verstärkt er diesen Durchbruch. Er unterstellt in diesem Segen den älteren Bruder dem jüngeren.
Alle Personen verlassen ihre Grunddisposition, die sie bisher bestimmt und in ihrer Einseitigkeit gelähmt hat. Eine Entwicklung ist erst jetzt möglich. Diese führt von der engen Ordnung zunächst ins Chaos und in die Vereinzelung. Erst vierzehn Jahre später kommt Jacob wieder zurück zu den Eltern und versöhnt sich mit seinem Bruder. Es braucht Zeit, bis der Wechsel von der alten Ordnung durch das Chaos hindurch zur neuen Ordnung vollzogen ist.
Gott schaut zu / Gott lässt zu
Und GOTT?
Er begleitet diesen Wachstumsprozess ohne aktiv einzugreifen. Die Geschichte Israels kennt noch viele andere Begebenheiten, in denen nicht die RECHTSCHAFFENHEIT, das ordentliche Verhalten zum Ziele führt sondern das Ausbrechen aus dem Vorgegebenen. Dies ist immer dann der Fall, wenn eines der vier Strukturelemente dominant wird.
- Zuviel Ordnung grenzt Leben ein. Spontaneität und geistvolles Handeln gehen verloren.
- Zuviel Harmonie lässt nicht atmen, nimmt die Luft weg. Die Bereitschaft zum Konflikt bricht die Nähe auf und lässt Individualität und Eigensinn zu.
- Chaos führt zum Zerfall, aus dem neue Ordnungsprinzipien erwachsen.
- Konflikte fordern die Kräfte heraus und lassen neue Möglichkeiten sichtbar werden.
Dieser Gott, der sich hier als der begleitende darstellt, ist der Gott des Exodus. Der, ICH BIN DA, - und mehr auch nicht. Er hilft nur dort. Wo es not-wendig ist. Er erbarmt sich des Elends seines Volkes. „Er durchbricht die religiöse Ordnung und Machtaufteilung, um jedem sein Recht und seine Lebenschance zu geben.“[3]
Darin unterscheidet er sich von dem allwissenden, allherrschenden und allmächtig und ganz besonders dem all-machenden Gott aus dem Schöpfungsbericht.
Die Entwicklung erfolgt durch die handelnden Personen und nicht durch das Handeln des Gottes. „Seht ich mache alles neu“, ist das Leitwort. Aber vielleicht muss es eher heißen: Seht ich lasse alles neu machen Voraussetzung für das neue ist die Bereitschaft, das alte zu verlassen und den Wachstumsprozess durch das Chaos hindurch auszuhalten..
Es wäre sicher interessant, einmal die Auseinandersetzungen Jesu mit den religiösen führenden Köpfen seiner Zeit einmal daraufhin zu untersuchen. Die „Ordnung“, die er in der religiösen Welt seiner Zeit vorfindet, ist als lähmendes Element zu verstehen, in dem für Lebendigkeit kein Raum ist. Ist es die Angst vor dem ´Chaos, die es der Kirche bzw. ihren Vertretern so schwer macht, neue Wege auszuprobieren und zu gehen?
[1] Vgl E. Zenger, Er setzte den Bogen in die Wolken
[2] vgl. Isidor Baumgartner, Pastoralpsychologie, Düsseldorf, 1990, S.188ff. Baumgartner orientiert sich in seinem Konzept an Fritz Riemann, Grundformen der Angst
[3] Thomas Ruster, Der verwechselbare Gott, Freiburg, 2000, S.204